Doppelbilder 120 x 200 cm
Jochen Weise malt offensichtlich seine Bilder kalkuliert. Allein schon die seit Jahren zum Stilprinzip erhobene Zweiteiligkeit macht uns das klar. Die traditionelle Bildform des Diptychon provoziert zwangsläufig eine dualistische, also bewßt wägende Sicht auf die Dinge. Die „Denk- und Erlebensfähigkeit berücksichtigend“ - auch das zwei Aspekte seiner Bildwelt - malt Jochen Weise pro Jahr, wie er sagt, „nur“ zehn bis zwölf große Bilder. Nun, in den letzten acht Wochen seiner „offiziellen“ Zeit im Künstlerhaus Meinersen, als Stipendiat der Niedersächsischen Sparkassenstiftung, hat er bereits vier Bilder gemalt: eine produktive Phase, eine neue Phase.
Als Jochen Weise hier angekommen war, im Herbst 1990, hatte er den „Herbst mit aufgearbeitet“ eine für ihn selbst überraschende künstlerische Haltung gegenüber dem Wandel der Jahreszeiten und der Natur. Es entstand zunächst eine stark von „naturalistischen“ Elementen bestimmte Serie, wenn man dem an Malformen der 50er Jahre erinnernden Abstraktionsgrad dieser Bilder den Begriff „naturalistisch“ zugestehen mag. Aber auch bei dieser Serie war jeweils nur die eine Seite des Diptychon dieser Erlebniswelt des Herbstes vorbehalten. Die andere Seite rückte diese Bilder wieder in den Bereich des Kalküls, in des Künstlers rationale Triebkraft.
Ein Malerkollege aus einer anderen Generation, der 1925 in Höxter an der Weser geborene Eduard Micus, hat über Jahrzehnte und bis heute solche dualistischen Bilder, wie sie Jochen Weise uns vorstellt, gemalt. Drum sei hier auf Merkmale hingewiesen, die unser Verständnis von Micus‘ wie Weises Arbeiten berühren:
1. „Verwandschaften der abstrakten Farbform zu bestimmten Erscheinungsbildern bis zu gegenständlicher Verdeutlichung sind als visuelle Reizmittel möglich, aber untergeordnet. Übergeordnet ist der Hinweis der Farbform auf Grundprinzipien, die den Aufbau des organischen und intelligiblen Lebens bestimmen. Dieser Aufbau ist ... durch Gegensätze bestimmt“, die eigentlich nicht zu beheben sind. In der Kunst- und Geistesgeschichte haben diese Gegensätze immer miteinander gerungen. Der Grundgegensatz läßt sich aber „nur vorübergehend durch gewaltsame Entscheidungen für die eine zu Ungunsten der anderen Seite verdecken“. (Das macht ein Künstler wie Jochen Weise deutlich: )Verschmelzung der Gegensätze führte zu Nivellierung.
2. Der Widerspruch einer Einheitlichkeit des Bildes wird provoziert, weil „wir in keiner homogenen Welt leben: der organisch gebildete Mensch wird zum Partner mechanischer Apparaturen, Betonklötze stehen visuell unvermittelt in der Natur, unkontrolliertes Leben spielt sich im festen Rahmen von Zeit- und Arbeitsplänen ab, etc“. (Zitate nach dem Manifest der von Eduard Micus mitbegründeten Künstlergruppe „SYN‘, 1967).
Die neuen, in Meinersen entstehenden Bilder von Jochen Weise sind in ihrer Erdfarbigkeit, vor allem aber in gelegentlichen Grenzüberschreitungen „Beweise“ für das Gesagte. War man früher von ihm eine abrupte Zweiteilung – ungegenständlich / gegenständlich oder Fläche / Raum oder Farbe / Zeichen - gewohnt, ist heute die deutlich bleibende Zweiteilung oft durch Irritationen verschleiert. Das geschieht mittels Nutzung vielfältiger neuer Oberflächen - und Materialwerte: Farbe gegen Naturbelassenes, reale Dreidimensionalität als Material-reiz und Irritation gegen das Imitat von Material. Die beiden Seiten der Sache, früher unverbunden, stehen heute oft raffiniert kalkuliert „unverbunden in Verbindung“.

Ludwig Zerull
Kunstkritiker, Hannover, März 1991